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Jörg Engel

Jörg Engel, 54 Jahre alt, nimmt die beschwerliche Anreise aus München zu mir nach Berlin auf sich, um sich als nächster Teilnehmer bei unserem Projekt “Gesichter des Lebens” zu zeigen. Wegen seiner seelischen Erkrankung stellt schon diese weite Autofahrt eine besondere Anstrengung für ihn dar. Ich treffe Jörg am Tempodrom, einer architektonisch einzigartigen Eventlocation im Herzen Berlins. Diesen Ort habe ich ausgewählt, da ich im Vorgespräch bemerkte wieviel Kraft Jörg in unseren Termin investieren muss. Seine eigentlich gewünschte Location für unser Shooting war der Berliner Reichstag, doch die Menschenansammlungen dort hätten Jörg vermutlich zu sehr irritiert. Hier in den Außenanlagen des beliebten Berliner Veranstaltungsortes besteht jederzeit die Möglichkeit, einer etwaigen belastenden Situation auszuweichen.

Veteran Jörg Engel beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"
Veteran Jörg Engel beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"
Veteran Jörg Engel beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"
Dieses kleine Lächeln zu sehen bei Jörg, so wertvoll.

Jörg ist seit 1989 Soldat, nachdem er zuvor seine berufliche Ausbildung zum technischen Assistenten in der Medizin abgeschlossen hat. Er war in sieben Einsatzländern, beginnend 1992 in Kambodscha und zuletzt 2012 auf Zypern. 

 

Gleich zu Beginn unseres Treffens erzählt Jörg mir von seinem Kameraden Thomas Hecken, den ich ja bereits porträtieren durfte: „Ich war zusammen mit Thomas Anfang der 90iger Jahre in einer Sanitätseinheit. Er war ein guter Kamerad. Wir haben uns dann aus den Augen verloren. Vor etwa anderthalb Jahren haben wir uns wiedergefunden. Nun telefonieren wir hin und wieder miteinander.”

 

Jörg wirkt aufgeregt. Er schaut angestrengt. Ich spüre, dass er diese Situation als etwas vollkommen Unbekanntes wahrnimmt.

 

„Ich kenne das nicht mehr, dass sich ein Mensch für mich interessiert.” Jörg Engel steht noch im Dienstverhältnis zur Bundeswehr. Er ist jedoch seit etlichen Jahren wegen seiner psychischen Erkrankung nicht dienstfähig.

 

„Ich kann meinem Eid “treu zu dienen” einfach nicht mehr nachkommen.

Ich bin verwundet! Moralisch verwundet - und auch von meinem Arbeitgeber!”

Veteran Jörg Engel beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"
Veteran Jörg Engel beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"

Ich mache Jörg den Vorschlag im Park spazieren zu gehen und ihn dabei zu fotografieren, denn ich weiß um die beruhigende Wirkung des Bewegens beim Fotografieren. Das gemeinsame Gehen in der Natur lenkt ab und verbindet gleichzeitig.

 

 

„Ich ging in Auslandseinsätze, welche anfänglich parlamentarisch umstritten waren und später gebilligt wurden.

Als das Attraktivitätssteigerungsgesetz/BwAttraktStG  im Jahre 2015 verabschiedet und genau datiert werden sollte, kämpfte meine Frau  gemeinsam mit anderen Personen und Anwälten dafür, dass der erste offizielle Einsatz der Bundeswehr zurückdatiert wurde.

Da ich Anfang 1992 in Kambodscha diente, das Gesetz aber erst geltend ab Juli 1992 vorgesehen war, wäre unser Vorabkommando ursprünglich gar nicht vom Gesetzt berücksichtigt worden. Somit wäre eines meiner relevantesten Erlebnisse beinahe nicht erfasst worden und damit auch meine dabei erlittene Schädigung nicht.

Das Ministerium hatte zunächst entschieden, es gibt keine Fälle vor Juli 1992. Das passte nicht zusammen".  

 

An dieser Mission UNAMIC der United Nations Advance Mission in Kambodscha waren von Oktober 1991 bis März 1992 bis zu fünfzehn deutsche Sanitätssoldatinnen und Sanitätssoldaten beteiligt. Von Mai 1992 bis November 1993 übernahm dann die Bundeswehr mit etwa 150 Sanitätssoldatinnen und Sanitätssoldaten sowie einem Feldlazarett die medizinische Versorgung für UNTAC United Nations Transitional Authority in Kambodscha. 

Veteran Jörg Engel fotografiert Nikon Z7II und Nikkor Z 50mm F/1: 1,2 S

Deutsche Blauhelm-Soldaten im ersten UN Einsatz; Jörg Engel war knapp ein Jahr vor Ort. 

Nur der Hartnäckigkeit, Liebe und dem Rechtsempfinden von engagierten Menschen ist zu verdanken, dass diese Zeit berücksichtigt wird. Unsere deutschen Sanitäter waren nachweislich vor Ort, haben geholfen und Menschen gerettet. 

„Du bringst deine seelische Erkrankung aus dem Dienst mit nach Hause, aber keiner will sich dafür verantwortlich fühlen? Wir sollten beginnen, darüber zu sprechen was falsch läuft!”

 

„1992 im Einsatz in Kambodscha war ich zuständig für die Labortätigkeiten, die Rettung im Felde und die Koordination der Rettungen. Ich durfte viel von den anderen Nationen vor Ort lernen, natürlich auch über das Land und seine Menschen. Wir haben vielen Menschen helfen können! Außerdem war ich in Ex-Jugoslawien. Diese Bilder sind in meinem Kopf geblieben - die brennenden Häuser, schreiende Menschen. Ich werde diese Bilder nicht los!“

 

Wir legen beim Fotografieren und beim Sprechen immer wieder Pausen ein. Jörg wird ruhiger.

 

Er fragt: „Warum darf ich dabei sein? Habe ich es verdient, bei "Gesichter des Lebens“ mitmachen zu dürfen?“

Ich schaue ihn an und sage „weil du ein wunderbarer einzigartiger Mensch bist, auf den ich mich sehr freue und der sehr viel Mut hat, um dabei zu sein. Der Platz nimmt am großen Tisch von „Gesichter des Lebens“.

Veteran Jörg Engel fotografiert Nikon Z7II und Nikkor Z 50mm F/1: 1,2 S
Veteran Jörg Engel fotografiert Nikon Z7II und Nikkor Z 50mm F/1: 1,2 S

„2012 ist die Krankheit dann ausgebrochen, als ich mit der Marine in Zypern und im Libanon unterwegs war. Ich war derzeit Verbindungsoffizier im Sanitätsdienst und hatte die Aufgabe, die medizinische Betreuung der Soldaten an Land zu übernehmen. Ich war sozusagen Bindeglied zwischen Militär und zivilen medizinischen Einrichtungen. Ich habe dienstlich immer viel organisiert und auch Worst-Case-Szenarien mit geplant. Das war meine Hauptaufgabe!“

 

Jörg, bist du ein strukturierter Mensch?

 

„Ja, war ich. Ich musste beruflich Dinge beachten, die sonst keiner im Fokus hat und Situationen immer aus verschiedenen Blickwinkeln sehen. Ein Verletzter hat die bestmögliche Versorgung verdient. Dies zu tun, war immer meine Aufgabe!“

 

Jörg fällt vieles schwer. Er fragt unsicher häufig nach, ob er alles richtig macht. „Ich musste lernen, dass auch ich wichtig bin. Dieses Klarkommen mit mir und meinem Alltag. Es gibt Tage die sind dunkler und dann gibt es auch Tage mit helleren Flecken.“

Veteran Jörg Engel fotografiert Nikon Z7II und Nikkor Z 50mm F/1: 1,2 S
Veteran Jörg Engel fotografiert Nikon Z6II und Nikkor Z 85mm 1,8 S
Veteran Jörg Engel fotografiert Nikon Z7II und Nikkor Z 50mm F/1: 1,2 S
Lieblingsfoto ❤️ vom Shooting mit Jörg, da ich ihm wünsche mit dieser ImMomentRuhe, sein Leben leben zu können

 Um viel mehr von Jörg Engel zu erfahren,

hört dazu gerne auch das Interview zum Shooting hier auf der Website.

Veteran Jörg Engel fotografiert Nikon Z7II und Nikkor Z 50mm F/1: 1,2 S

Und was ist der hellste Fleck in deinem Leben?

 

„Das ist meine Frau Ivonne, der ich ganz viel verdanke. Ich erfahre unwahrscheinlich viel Liebe. Sie nimmt mich so wie ich bin: schwierig, chaotisch, unkontrolliert und trotzdem wahrscheinlich ein Stück liebenswert. Ivonne ist der Mensch, der fest zu mir hält! Der andere helle Punkt ist meine Tochter. Die Beiden sind meine hellen Punkte.“

 

Jörg weint jetzt und fährt berührt fort:

„Durch meine Krankheit habe ich mich leider von meiner Tochter entfernt. Ich hoffe so sehr, dass dies nur temporär ist. Ich muss abwarten. Aber dieses Warten tut halt weh!“

 

Jörg Engel hält sich an der Liebe fest. Er vertraut den Menschen, die ihn lieben, wie er ist. Jörg beweist großen Mut hier öffentlich über seine tiefsten Gefühle und Ängste zu sprechen. Er öffnet sich. Er zeigt sich.

Unser Gespräch während des Shootings habe ich aufgenommen und ich veröffentliche es hier. Zuhören ist ein wichtiger Teil meines Fotoprojektes „Gesichter des Lebens“. Ich schenke den Menschen Zeit und meine volle Aufmerksamkeit . 

Fotografiert Nikon Z7II und Nikkor Z 50mm F/1: 1,2 S beim Fotoshooting "Gesichter des Lebens"
Fotografiert Nikon Z7II und Nikkor Z 50mm F/1: 1,2 S
Veteran Jörg Engel beim Shooting "Gesichter des Lebens"
Fotografiert Nikon Z7II und Nikkor Z 50mm F/1: 1,2 S
Mein zweites Herzensfoto ❤️ von Jörg, wo er mir von der Liebe zu seiner Frau erzählte. Danke!

Jörg, was macht dir Freude?

 

„Ich hatte früher einige Dinge, die mir Freude machten, die ich aber durch meine Krankheit nicht mehr tun kann. Ich hoffe, dass sie irgendwann wiederkommen. Ich möchte wieder reisen. Ich möchte neue Menschen kennenlernen. Essen und Gerüche wieder neu entdecken. Das geht jetzt nicht, weil Geräusche, Gerüche und Menschen mir teilweise Angst machen oder mich in Zustände bringen, die mich zu viel Kraft kosten.“ Deswegen also zieht sich Jörg im Leben zurück.

 

„Ich möchte mich auch nicht mehr erklären müssen. Das habe ich immer und immer wieder für die vielen Gutachten tun müssen. Ich erlebe inzwischen Momente mit kleinen Schritten vorwärts und dabei ist meine wunderbare Frau Ivonne an meiner Seite. Ich glaube, wäre ich nicht krank geworden, dann hätte ich nie erkannt, wie wertvoll meine Frau ist. Klingt komisch, ich weiß.“

 

Jörg wird immer wieder übermannt von seiner Traurigkeit. Ich gebe ihm Zeit.

Veteran Jörg Engel fotografiert Nikon Z7II und Nikkor Z 50mm F/1: 1,2 S

Nach unserem Termin setzen wir uns in ein ruhigeres Café im Berliner Kiez. Jörg atmet tief durch. In diesem Moment steigt vor uns an der Straße ein südländisch aussehender Mann aus einem Auto. Jörg wird schlagartig unruhig.

Er fixiert mich und bittet: „Dani, kannst du bitte meine Hand nehmen und einfach mit mir weitersprechen?“ Ich ergreife seine Hand fest und rede ruhig weiter. Der Fremde auf dem Gehweg geht fort. Jörg beruhigt sich langsam. Er hatte soeben einen sogenannten Flashback. Der ganze Schrecken des einst Erlebten in seinen Auslandseinsätzen war plötzlich wieder real. Das Aussehen des Mannes hat Jörg schlagartig zurückversetzt in seinen damaligen Einsatz in Jugoslawien.

 

Jörg muss dort Schreckliches widerfahren sein. Für einen Moment wurden die traumatisierenden Geschehnisse erneut gefühlt.

 

Wir trinken in Ruhe unseren Kaffee. Anschließend verabschiedet sich Jörg Engel in sein Hotel. „Unser Termin hat mich ganz schön Kraft gekostet und ich bin froh, wenn ich jetzt zur Ruhe komme.“

 

Ich wünsche Jörg ganz viel Liebe!

Mögen die weißen Flecken in seinem Leben mehr werden und möge er eines Tages wieder unbeschwert reisen können.

Alles Gute und vielen Dank, Jörg Engel!


Es schliesst sich für mich ein weiterer Kreis als Mensch und als Fotografin. Beim Fotografieren braucht es Empathie um Menschen zu berühren, zu verbinden, sichtbar zu machen. Mit meinem fotografischen Blick auf die Menschen, Soldaten, Veteranen gehe ich einen weiteren Schritt. Zu wissen das mein / unser Projekt "Gesichter des Lebens" dabei wächst, macht mich stolz, da ich die Menschen liebe und gerne fotografiere.

 

Soldat und Veteran sein heisst auch: Mensch sein. Sehen-Spüren-Fühlen. "Gesichter des Lebens" versucht dies sichtbar zu machen.

 

Ich möchte Danke sagen, an meine Herzensmenschen die mich unterstützen und tragen und mir immer wieder Tipps geben zu meinem Fotoprojekt. Danke an meinem geliebten Lebenspartner und an meinem Sohn. Ein dickes Danke nach Kenia an meine liebste Freundin Iris die sich verantwortlich zeichnet für die Texte. Danke an meine liebste Freundin Edda, die mich immer stärkt und mich unterstützt. Danke an Simone und Heike meine Fotografinnen Gang und wunderbare Freundinnen und Frauen. 

 

Es ist schön, wenn Ihr hier mit dabei seit. Danke ❤️. 

 

Fotografiert wird mit Nikon Z7II und dem Nikkor Z 50mm F/1,2S und Nikon Z6II und dem Nikkor Z 85mm f/1.8S.

„Genderhinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für beide Geschlechter. Die verkürzte Sprachform beinhaltet keine Wertung.“

Hinterlasst mir hier gerne einen Kommentar, ich freue mich darauf. Danke!

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Kommentare: 2
  • #1

    Frank Schmid (Montag, 18 Juli 2022 15:37)

    Danke für diesen bewegenden Fotobericht, der auch mit Kritik nicht unbedingt spart. Es mahnt und bewegt. Unsere Soldaten und Veteranen kämpfen und kämpften für Deutschland, den Frieden und die Menschen am Einsatzort. In den Medien wird dies zu eindeutig zu wenig gewürdigt. Ich wünsche Herrn Engel eine gute Gesundheit und sage Danke für dieses Fotoportrait und das Interview.
    Frau Skrzypczak Ihnen gilt meine Hochachtung vor Ihrer Arbeit als Fotografin und Hochachtung vor das Öffentlichmachen aller Menschen hier bei diesem Projekt. Herzlichst Frank Schmid

  • #2

    Daniela (Mittwoch, 20 Juli 2022 12:23)

    Vielen lieben Dank Herr Schmid das Sie sich die Zeit genommen haben.
    Es ist so wichtig das wir gemeinsam für die Menschen etwas tun, jeder wie er es kann.
    Danke sagt Daniela